Das Lat Sao ist neben den Formen und dem Chi Sao einer von drei Bereichen des Trainings im Wing Chun. Leider wird es von vielen Fortgeschrittenen zu unrecht vernachlässigt, da diese sich eher auf die Chi Sao Sektionen konzentrieren.
Doch im Grunde ist das Lat Sao für den eigentlichen Kampf sogar am wichtigsten. Denn es kann nicht Selbstzweck sein, allein die Formen und das Chi Sao gut ausführen zu können. Diese beiden Dinge sind bloß Mittel zum Zweck.
Wir wollen all das Gelernte auch in einem realen Kampf anwenden können – und dafür brauchen wir unbedingt das Lat Sao, sprich das Freikampftraining.
Doch schauen wir uns mal genauer an, was das Lat Sao Training alles umfasst (oder besser gesagt: welche Möglichkeiten wir haben, um es zu trainieren) …
Das Lat Sao im Wing Chun
Beim Lat Sao geht es im Großen und Ganzen darum, die Fähigkeiten aus dem Formentraining und dem Chi Sao auf eine Kampfsituation zu übertragen.
Genauer gesagt befindet man sich eben noch nicht in Kontakt mit den gegnerischen Armen wie es beim Chi Sao der Fall ist. Wir müssen vielmehr diesen Kontakt erst herstellen und sodann blitzschnell reagieren.
Wir verbinden somit die Fähigkeiten, die wir im Chi Sao aufgebaut haben, mit weiteren Fähigkeiten wie Distanzgefühl, Timing und optischem Reagieren.
Das Wing Chun liefert uns zum Glück viele unterschiedliche Trainingsmethoden, um diese Fähigkeiten im Lat Sao zu entwickeln:
#1: Kampfanwendungen
Eine Trainingsmethodik im Lat Sao, die wohl jeder nutzt, sind Kampfanwendungen.
Dabei lassen wir uns vom Trainingspartner in einer gewissen und vorher festgelegten Art und Weise angreifen. Wir trainieren sodann eine bestimmte Technik, die gegen genau diesen Angriff wirkungsvoll ist.
Und natürlich können Kampfanwendungen einen großen Nutzen bieten. Vor allem Anfänger bekommen dadurch überhaupt erst eine Idee davon, wie wir uns mittels Wing Chun erfolgreich verteidigen können. Außerdem kann das Training von Kampfanwendungen auch sehr motivierend sein und Spaß machen.
Das Schöne daran ist auch, dass sich die Technik nach einer gewissen Weile richtiggehend „einschleift“ und wir sie dann schnell und trotzdem korrekt ausführen können.
Doch darin liegt gleichzeitig das Problem, wenn man nur Kampfanwendungen trainiert und sonst kein weiteres Lat Sao Training betreibt. Man lernt quasi nur „tote“ Techniken, die bloß gegen einen bestimmten Angriff wirkungsvoll sind.
Würde uns der Gegner aber geringfügig anders angreifen, müssten wir bereits ganz anders reagieren.
Somit kann man mit dem Training von Kampfanwendungen alleine keine Kampfkunst erlernen. Denn man müsste theoretisch jede einzelne dieser Anwendungen einige tausend Mal üben. Und es gäbe unendlich viele, da eine kleine Veränderung des Angriffswinkels bereits dafür sorgt, dass wir eine andere Kampfanwendung trainieren müssten.
Doch wie gesagt: Richtig eingesetzt haben Kampfanwendungen ihre Daseinsberechtigung. Man muss sich nur über deren Schwächen im Klaren sein.
Hier ein Beispielvideo zu einer Kampfanwendung im Wing Chun: Beispielanwendung zum achten Satz der Siu Nim Tao
#2: Lat Sao Drills
Der große Vorteil von Drills gegenüber anderen Trainingsmethoden ist, dass wir dadurch enorm viele Wiederholungen innerhalb kürzester Zeit zusammenbringen.
Außerdem können wir dadurch blitzschnelle Reflexe in unseren Körper einpflanzen und wir können den Trainingspartner auch dazu anhalten, dass er uns wirklich ordentlich und mit Druck angreift, damit wir auch ein Gefühl für einen realistischen Angriff bekommen.
Der Nachteil ist jedoch erneut, dass wir uns nur auf eine bestimmte Bewegung konzentrieren, der Trainingspartner uns also wieder auf eine bestimmte und verabredete Art und Weise angreift. Im Grunde lernen wir also gar nicht wirklich zu reagieren. Wir schleifen nur eine bestimmte Technik ein.
Doch auch wenn das zu wenig ist um richtig gut und vielleicht mal Meister zu werden – für Anfänger und Fortgeschrittene sind Drills eine extrem nützliche Trainingsmethode. Das gilt für Lat Sao Drills genauso wie für Chi Sao Drills.
Hier hast du ein Beispiel für einen einfachen Lat Sao Drill: Jut Sao Drill im Wing Chun
#3: Der Pak Sao Zyklus
Der Pak Sao Zyklus ist nun schon etwas, wo wir uns auch auf den Trainingspartner einstellen und reagieren müssen.
Auch wenn der Pak Sao Zyklus an sich sehr repetitiv ist – so können wir die unterschiedlichsten Dinge mit einbauen und den Zyklus enorm erweitern.
Zum Beispiel lassen sich Schritte einbauen, wie ein schneller Pak Sao Fauststoß mit Vorwärtsschritt oder ein Angriff aus der Flanke. Man kann auch zurückweichen und sogar einen Tritt machen, den der Trainingspartner abzuwehren versucht.
Und man kann das Ganze noch ergänzen mit unterschiedlichen Angriffen wie Schwinger und sogar Ellenbogen etc …
Dabei ist der Pak Sao Zyklus auch für Anfänger geeignet, da man weit genug auseinander steht, um sich mit dem Fauststoß nicht im Gesicht zu treffen. Man kann daher gefahrlos seine Techniken und Reflexe trainieren ohne Angst haben zu müssen, verletzt zu werden von seinem Trainingspartner.
Doch natürlich ist auch der Pak Sao Zyklus nur ein Zwischenschritt und ist vor allem für Anfänger und mäßig Fortgeschrittene gedacht.
Hier erhältst du eine kurze Einführung in den Pak Sao Zyklus für Anfänger.
#4: Optisches Reaktionstraining
Neben den oben angeführten „traditionellen“ Methoden im Lat Sao Training, gibt es auch noch modernere und kampfkunstübergreifende Methoden um seine Fähigkeiten zu schulen.
Zum Beispiel gibt es spezielle Übungen, mit denen man sein optisches Reaktionsvermögen schulen kann. Meist geht das sogar Hand in Hand mit dem Training des Timings und des Distanzgefühls.
Zum Beispiel könnten wir dem Trainingspartner einige Möglichkeiten geben, wie er uns angreifen kann. Oder unser Trainingspartner kann das Tempo der Angriffe variieren und wir müssen im richtigen Moment abwehren.
Hier ein Beispiel für ein solches Reaktionstraining: Optisches Reagieren gegen Schwinger aus kurzer Distanz
#5: Üben „freier“ Angriffe
Sobald man über die nötigen Grundlagen verfügt – man also vor allem die bisher genannten vier Schritte durchlaufen hat – kann man sich daran wagen freier anzugreifen.
Eine Möglichkeit ist es, auch mal ein bisschen Sparring zu üben im Wing Chun. Genau das wird häufig vernachlässigt, doch meiner Meinung nach ist das ein großer Fehler, siehe auch mein Video „Sparring im Wing Chun? Ist das sinnvoll?“
Ich bin echt der Meinung, dass man auch im Wing Chun sehr vom Sparring profitieren kann. Und man muss ja nicht gleich damit starten, dass man voll aufeinander losgeht.
Man kann das Ganze strukturierter angehen und als erstes bloß ein paar Optionen offen lassen. Und das kann in der Folge und steigendem Können immer mehr erweitert werden bis hin zu vollem Sparring mit Boxhandschuhen, Mundschutz und eventuell noch weiterer Schutzausrüstung.
#6: Chi Sao und Lat Sao miteinander verbinden
Es muss gar nicht sein, dass man das Chi Sao und das Lat Sao strikt voneinander trennt. Viel besser kann es sein, wenn man die Dinge miteinander vermischt.
Zum Beispiel könnte man Teile aus den Chi Sao Sektionen ohne vorherigen Armkontakt trainieren. Das heißt, man überlegt sich zu jeder Bewegung eine mögliche Anwendung. Oder man trainiert es zumindest nicht aus dem Chi Sao Fluss heraus, sondern ohne vorherigen Kontakt mit dem Trainingspartner.
Außerdem könnte man das ReakTsun (= eine Erfindung von Großmeister Kernspecht zum Aufbau taktiler Reflexe) ebenfalls ohne vorherigen Kontakt trainieren, was es deutlich schwieriger macht, da man dann die Intention des Trainingspartners viel später spürt und daher schneller reagieren muss.
Und es ließen sich auch Trainingsmethoden aus anderen Kampfkünsten wie dem Jeet Kune Do bzw. dem Panantukan übernehmen. Und damit meine ich NICHT, Techniken aus diesen Kampfkünsten zu übernehmen, denn Wing Chun selbst hat schon mehr als genug Techniken.
Was ich meine ist, dass man zum Beispiel die Trainingsmethode des Trappings aus dem Jeet Kune Do übernimmt und mit Wing Chun Techniken und Prinzipien trainiert. Denn das Trapping könnte man genauso ohne vorherigen Kontakt trainieren und damit wunderbar zum Aufbau von taktilen Reflexen, des Distanzgefühls und des Timings einsetzen.
Und das selbe gilt für den so genannten Hubud-Drill aus dem Panantukan bzw. dem Eskrima. Dieser Drill ist vergleichbar mit dem Pak Sao Zyklus im Wing Chun, nur dass man bereits näher beieinander steht. Jedenfalls kann man hier das Training taktiler UND optischer Reflexe perfekt miteinander kombinieren.
#7: Fauststoßtraining
Last but not least sollte man keinesfalls sein Fauststoßtraining im Wing Chun vernachlässigen. Und genau das wird leider nur allzu oft sträflich vernachlässigt – vor allem von Fortgeschrittenen.
Doch was haben die besten Reflexe und perfektes Timing für einen Sinn, wenn man gar nicht fähig ist den Gegner im Notfall K.O. zu schlagen?
Und natürlich sollte man nicht allein auf seine Fauststöße achten. Auch eine gehörige Portion Trittkraft kann von Vorteil sein und sollte meiner Meinung nach zumindest hin und wieder trainiert werden.
Dabei kann man sowohl mit als auch ohne Trainingspartner trainieren:
- Mit Trainingspartner bietet sich vor allem das Training mit Handpratzen, mit Thaipads oder einem Schlagposter an.
- Ohne Trainingspartner hat man die Möglichkeit an einem Wandsack oder Boxsack zu trainieren. Und wer es sich leisten kann bzw. will, kann sich einen so genannten BOB zulegen.
Hier ein Beispielvideo zum Fauststoßtraining: Die Universallösung im Duellkampf
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