Bei der Vorbereitung auf einen Kampf beziehungsweise eine Schlägerei geht es nicht allein um das Erlernen einiger Selbstverteidigungskniffe. Um gut vorbereitet zu sein, bedarf es mehr.
Vor allem solltest du darauf achten, auch allgemeine körperliche Kampffähigkeiten wie zum Beispiel Schlagkraft aufzubauen. Denn was nützen dir schon ein paar auswendig gelernte Techniken, die du mangels Schlagkraft nur halbherzig ausführen kannst?
Und auch die mentale Komponente sollte unbedingt berücksichtigt werden. Der Kampfgeist beispielsweise ist einer dieser letzten großen Unbekannten, die über Sieg oder Niederlage entscheiden können.
Und Fakt ist:
Selbst Kampfgeist kann man trainieren!
Und all das gehört zur Selbstverteidigung. Man muss nur wissen, wie man das alles trainieren kann …
Kapitel 2:
Auf einen möglichen Kampf
bzw. eine Schlägerei vorbereiten
(Dies ist der zweite Teil einer vierteiligen Serie zum Thema „Selbstverteidigung: 33 Regeln für deine optimale Sicherheit„. Heute geht es um die zweite Phase in punkto Selbstverteidigung, also um die Vorbereitung auf einen Kampf bzw. eine Schlägerei. Genauer gesagt schauen wir uns heute die körperliche Vorbereitung an – beim nächsten Mal geht es dann um den mentalen Aspekt.)
2.1 Die physische Vorbereitung
Beginne erstmal mit der körperlichen Vorbereitung. Dabei sind folgende Dinge zu beachten …
Regel Nr. 13: Trainiere alle denkbaren Bedrohungssituationen
Laien gehen meist davon aus, dass ein Kampf außerhalb der Schlagdistanz beginnt und man genug Zeit hat, um sich mental darauf einstellen zu können.
Doch gerade das ist in der Selbstverteidigung sogar die Ausnahme. In einer Auseinandersetzung in einer Bar kommt der Aggressor ganz nah an einen heran und bei einem überfallartigen Angriff geht sowieso alles ganz schnell.
Dass man sich in Duellkampfmanier längere Zeit gegenübersteht, bevor es losgeht, ist eher ein unwahrscheinliches Szenario. Im Training sollte man das auch so berücksichtigen und die Schwerpunkte dementsprechend festlegen.
Nicht ausgespart werden sollten auch zwei besonders gefährliche Bedrohungssituationen, nämlich Messerattacken und die Verteidigung gegen mehrere Angreifer.
Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass Messerangriffe und die Bedrohung durch eine Gruppe besonders viel Training bedürfen, um eine realistische Chance dagegen zu haben.
Und leider ist auch zu sagen: Eine 100%ige Sicherheit gibt es nicht. Doch immerhin: Man kann die eigenen Chancen beträchtlich steigern durch richtiges Training!
Regel Nr. 14: Allgemeine Selbstverteidigungsfähigkeiten trainieren
Um dich sicher auch gegen deutlich stärkere Personen verteidigen zu können, brauchst du vor allem zwei Sachen: hohe Schlagkraft und gute Reaktionen.
Schlagkraft brauchst du deshalb, weil es nicht genügt, Angriffe nur abzuwehren. Irgendwann musst du auch bereit dazu sein, selbst anzugreifen. Dabei ist es immens wichtig, dass dein Schlag auch etwas bewirkt bei deinem Gegenüber. Es ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für Streicheleinheiten.
Was du noch brauchst sind gute – vor allem optische – Reaktionen. Schläge abzuwehren ist nicht einfach und muss hinreichend trainiert werden.
Regel Nr. 15: Spezielle Selbstverteidigungsfertigkeiten trainieren
Unter speziellen Selbstverteidigungsfertigkeiten verstehe ich jene Techniken, die man in einem typischen Selbstverteidigungskurs lernt. Und es gehört ja auch wirklich dazu, dass man sie lernt.
Dazu gehören wirksame Befreiungstechniken gegen Umklammerungen, Würgegriffe und Haareziehen. Und auch Angriffs- sowie erste Abwehrtechniken gegen häufige Angriffe solltest du gründlich üben.
Wichtig ist dabei aber, dass man sich auf einige wenige Techniken konzentriert. Oder wie formulierte es Bruce Lee:
„Ich fürchte nicht den Mann, der 10.000 Kicks einmal geübt hat, aber ich fürchte mich vor dem, der einen Kick 10.000 mal geübt hat.“
Regel Nr. 16: Mit unterschiedlichen Trainingspartnern trainieren
Wenn du immer mit demselben Trainingspartner / derselben Trainingspartnerin trainierst, dann wirst du mit der Zeit genau wissen, wie er / sie angreift und wie er / sie auf deine eigenen Angriffe reagiert.
Häufig entsteht dann der Eindruck, man könne sich gegen alle wichtigen Angriffe zur Wehr setzen, da es im Training schon so super funktioniert.
Und siehe da: Dann wechselt man doch mal den Trainingspartner und auf einmal funktioniert fast gar nichts mehr.
Trainingspartner unterscheiden sich oft gewaltig voneinander: Sei es in Größe und Statur oder einfach nur darin, dass jeder unterschiedliche Lieblingstechniken und Reaktionen hat, die er am häufigsten einsetzt.
Wenn du wirklich gut werden willst, dann musst du auch mit den unterschiedlichsten Leuten trainieren.
Da führt kein Weg daran vorbei. Selbst dann, wenn man seinen Trainingspartner schon so lieb gewonnen hat.
Regel Nr. 17: Szenariotraining und Training freier Angriffe
Ein großer Fehler im Selbstverteidigungstraining ist es, wenn man nur fixe Abläufe, Kampfanwendungen und Drills trainiert.
Das mag zwar zu Beginn nötig sein, da man als Anfänger sonst schnell mal überfordert ist. Doch mit der Zeit sollte man auch beginnen, sich frei anzugreifen.
Daran kann man sich auch langsam herantasten: Zu Beginn reicht es schon, wenn man sich vorher ausmacht, dass man sich auf zwei unterschiedliche Arten angreift – zum Beispiel Schwinger hoch und Haken tief. Allein dadurch trainiert man recht gut die Unterscheidung, ob ein hoher Angriff zum Kopf kommt oder ein niedriger zu den Rippen.
Später kann man den Schwierigkeitsgrad immer mehr steigern, bis man schlussendlich komplett frei angegriffen wird und darauf reagieren muss – womöglich sogar inklusive Fußtrittabwehr.
Durch entsprechende Schutzausrüstung – vor allem gut gepolsterte Faustschützer des Angreifers – stellt man sicher, dass die Verletzungsgefahr trotzdem minimal ausfällt.
Regel Nr. 18: Fähigkeiten immer wieder auffrischen
Das ist das große Problem mit Selbstverteidigungskursen. Es ist zwar so, dass z.B. ein 10-wöchiger Kurs doch immerhin gewisse Grundlagen der Selbstverteidigung lehrt (zumindest wenn er gut gemacht ist).
Aber wie sieht´s damit in einem oder zwei Jahren aus? Meist hat man dann schon vieles vergessen und die Unsicherheit ist wieder da.
Am besten wäre es natürlich, wenn du das ganze Jahr über Selbstverteidigung trainierst. Oder zumindest, dass du deine Kenntnisse einmal im Jahr auffrischst.
Ach ja übrigens:
Oft glauben wir nur, etwas zu können. Allzu oft täuschen wir uns aber und überschätzen unsere Fähigkeiten maßlos.
Die folgende Geschichte wird dich hoffentlich zum Nachdenken bringen:
Larry Bird, einer der besten Basketballspieler aller Zeiten soll einmal einen Werbespot für einen Softdrinkhersteller gedreht haben. Das Drehbuch sah vor, dass er einen Wurf erstmal versiebt, dann den Softdrink zu sich nimmt und daraufhin natürlich den Ball ohne Probleme im Korb versenkt.
Soweit zur Theorie. In der Praxis hatte Larry Bird äußerste Schwierigkeiten dem Folge zu leisten. Nicht etwa, dass er Probleme darin gehabt hätte, den Ball im Korb zu versenken. Im Gegenteil: Er hatte Probleme, dies nicht zu tun.
Er versenkte den Ball an die 10 Mal – bevor es ihm endlich „gelang“, daneben zu werfen. Er hatte also äußerste Schwierigkeiten von 10 Bällen wenigstens einen Wurf zu versemmeln.
Das nenne ich mal echtes Können.
Quelle: Jürgen Höller, Sag ja zum Erfolg (2000), S. 161
Wär das nicht toll, nicht mehr falsch reagieren zu können in einer Selbstverteidigungssituation? Dass dazu aber sehr viel Training notwendig ist, brauche ich dir wohl nicht extra zu sagen …
Regel Nr. 19: Den Einsatz von Hilfsmitteln trainieren
Vor allem der Kubotan eignet sich prima zur Selbstverteidigung. Dabei handelt es sich um einen Schlag- und Druckverstärker, der sich speziell für Personen eignet, die über wenig Kraft (und damit vor allem wenig Schlagkraft) verfügen.
Der Kubotan ist ein kurzer Stock, der etwas länger ist als die eigene Handfläche und somit links und rechts leicht hervorlugt.
Mittels spezieller Schläge kann man große Schmerzen und auch Verletzungen beim Gegner verursachen.
Wichtig ist aber, den Einsatz des Kubotans auch gründlich zu üben. Tut man das nämlich nicht, behindert er mehr als er nützt.
Und falls dir dein Kampfkunstlehrer erklärt, dass man den Umgang mit einem Kubotan nicht extra üben braucht, dann such dir einen anderen Kampfkunstlehrer.
Ich habe das früher in beim Training des Wing Tsun oft gehört:
„Kubotan brauchen wir nicht trainieren. Alles was du im Wing Tsun waffenlos trainierst, kannst du auch mit einem Kubotan in der Hand umsetzen.“
Naja, ich hab halt dann nicht darauf gehört und mal damit begonnen, mit einem Trainingspartner den Umgang mit dem Kubotan zu üben. Dabei haben wir versucht, damit diverse Angriffe abzuwehren.
Und weißt du, was anfangs passiert ist:
Ich hab mich dabei überhaupt nicht wohl gefühlt – keine Spur von irgendwelcher Sicherheit. Und hätte ich den Umgang mit dem Kubotan nicht viele Male seitdem geübt, er würde mich nur behindern.
Mittlerweile kann ich mir auch denken, wieso viele Kampfkunstlehrer sagen, dass man den Umgang damit nicht üben braucht:
Weil sie selbst nicht damit umgehen können.
2.2 Wichtige Regeln für den Kampf
Jetzt geht´s ans Eingemachte: Du konntest einen Kampf bzw. eine Schlägerei nicht im Ansatz vermeiden und es gibt keinen anderen Ausweg mehr als zu kämpfen.
Ich verrate dir, auf was du unbedingt achten musst …
Regel Nr. 20: Halte den Aggressor auf Distanz
Den größten Fehler, den du machen kannst, ist, dass du deine Hände unten lässt. Vor allem, wenn der Aggressor bereits innerhalb der Schlagdistanz ist.
Erstens wirst du einen Schlag so niemals abwehren können.
Wenn du mir nicht glaubst, dann probier es doch mal aus im Training: Lass die Hände unten, dein Trainingspartner positioniert sich innerhalb der Schlagdistanz und greift dich ansatzlos und mit voller Geschwindigkeit an.
Ich wette mit dir, dass du deine Hände noch nicht mal halb nach oben gebracht hast, wenn dich die Faust bereits am Kinn getroffen hat.
Der zweite Grund, warum du die Hände unbedingt raufbringen musst, ist der, dass du nur so den Gegner auf Distanz halten kannst. Wenn er nämlich ganz nahe kommt, dann besteht auch die Gefahr eines Kopfstoßes. Und das ist echt fies und erst recht so gut wie NICHT abzuwehren (zumindest nicht mit den Händen unten).
Übrigens wäre es nicht schlecht, auch das mal zu trainieren: Ich habe schön blöd aus der Wäsche geguckt, als ich bei meinem ersten Training im Panantukan auf einmal mit einem Kopfstoß angegriffen wurde.
Wenn man im Wing Tsun Unterricht mal danach fragte, ob wir uns nicht auch mal mit Kopfstößen befassen könnten, dann hörte man nur den Satz: Wir machen keine Kopfstöße.
Na ob das auch der Gegner weiß, dass er keine Kopfstöße machen soll?
Regel Nr. 21: Konzentriere dich auf die Schwachstellen des Gegners
Speziell wenn es dir noch an der nötigen Schlagkraft fehlt, hast du nur dann eine Chance, dich gegen einen körperlich Stärkeren durchzusetzen, wenn du dich auf die Schwachstellen des menschlichen Körpers konzentrierst.
Oder probier mal als 50 Kilo Frau, ob ein Fauststoß auf den Brustkorb eines 120 Kilo Bodybuilders irgendwas bewirkt. Ich schätze mal nicht – außer, dass du den Typen noch wütender machst.
Gute Ziele sind vor allem die Genitalien, sowie Hals, Kinn und Augen. Und bitte versuch nicht den Solarplexus zu treffen. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass du ihn punktgenau treffen wirst (und vor allem hart genug treffen wirst), um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Und bei aller Konzentration auf die Schwachstellen des Gegners: Fixiere deine Aufmerksamkeit in einem Kampf nicht darauf.
Wenn du dir schon vorher überlegst, was du machen wirst, dann geht das garantiert schief.
Du wirst dadurch unflexibel und kannst dich dem Gegner nicht mehr anpassen.
Du musst diese Angriffe so oft im Training geübt haben, dass du sie automatisch und ohne groß nachzudenken ausführen kannst. Und zwar spontan, sobald sich beim Gegner eine Lücke auftut. Wenn du versuchst, dies bewusst zu tun, dann bist du viel zu langsam und nicht imstande auf mögliche Attacken des Gegners zu reagieren.
Regel Nr. 22: Du kannst alles an deinem Körper als Waffe benutzen
Als Waffe eignen sich nicht nur deine Fäuste. Im Gegenteil: Für einen Anfänger ist es noch nicht mal besonders ratsam, immer seine Fäuste zum Angriff einzusetzen, da sich ein wenig Geübter auf diese Art fast automatisch verletzt.
Besonders häufig ist es, dass man sich bei einem harten Schlag den Mittelhandknochen bricht. Dieser verbindet Finger und das Handgelenk und wird oft von Ärzten als typische Boxerverletzung bzw. Boxerfraktur bezeichnet.
Passieren kann dies zum Beispiel bei der Ausführung eines Seitwärtshakens, wo der Gegner aber etwas zurückpendelt und man daher nur noch mit dem Fingergrundgelenk des kleinen Fingers auftrifft. Autsch …
Besser als die Faust sind daher (speziell für Anfänger) Handfläche, Handkante, Ellbogen, Knie und ein Fingerstich geeignet, um den Gegner kampfunfähig zu machen.
Zur Not kannst du aber dem Gegner auch einen Kopfstoß verpassen und sogar kratzen und beißen, wenn du nicht mehr weiter weißt.
Es geht ja schließlich um Selbstverteidigung und nicht um einen regelgeleiteten Kampfsport, den du hier ausübst. (Und wenn dein Kampfkunstlehrer meint, dass du einen Kopfstoß niemals machen darfst, und auch nicht kratzen und beißen, dann such dir einen neuen.)
In der Selbstverteidigung ist grundsätzlich alles erlaubt.
Regel Nr. 23: Zuerst angreifen
Solange du keine 10.000 Stunden Selbstverteidigung und Kampfkunst trainiert hast, ist es ratsam, selbst präventiv anzugreifen.
Für einen Anfänger ist der präventive Angriff sowieso ein Muss. Und selbst für den Fortgeschrittenen ist dies meist ratsam, weil das Abwarten viel zu viel Risiko in sich birgt auch getroffen zu werden.
Angriff ist die beste Verteidigung.
Beim präventiven Angriff gibt es nur ein Problem: und zwar umstehende Zeugen. Wenn man selbst als erstes angreift, dann wird man auch oft als der Täter wahrgenommen. Der Angegriffene hingegen wird dann als Opfer gesehen.
Trotzdem: Zuerst sollte das Überleben im Vordergrund stehen. Wenn du dein Leben bzw. deine Gesundheit bedroht siehst, dann musst du handeln. Zeugen hin oder her.
Regel Nr. 24: Du kannst fast alles als Waffe einsetzen – tu es auch
Vor allem wenn der Aggressor ein Messer in der Hand hat, oder du dich mehreren Angreifern gegenübersiehst, ist es ein großer Fehler, sich mit bloßen Händen verteidigen zu wollen.
Fast alles kann als Waffe oder zumindest als Schutzschild genutzt werden: ein Regenschirm, dein Rucksack, dein Handy und sogar Münzen, die du dem Aggressor ins Gesicht wirfst, damit du ihn ablenkst um davonlaufen zu können.
Ich weiß, dass vielen ihr Handy heilig ist. Aber besser dein Handy ist kaputt, als du landest mit schweren Verletzungen im Krankenhaus.
Ach ja:
Wenn dich jemand mit einer Waffe in der Hand bedroht und dein Geld will, dann gib es ihm auch.
Vielleicht kannst du ihm ja deine Geldbörse ins Gesicht werfen und davonlaufen (auch wenn das häufig nicht geht). Versuch nur um Gottes willen nicht darum zu kämpfen!
P.S.
Nächste Woche geht es weiter mit dem dritten Teil zur Serie „Selbstverteidigung: 33 Regeln für deine optimale Sicherheit„. Dann widmen wir uns dem Thema der mentalen Vorbereitung auf einen Kampf bzw. eine mögliche Schlägerei.
P.P.S.
Zur zweiten Phase der Selbstverteidigung – also zur physischen Vorbereitung auf einen Kampf – haben wir auch einen Onlinekurs: Selbstverteidigung lernen – Schritt für Schritt
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