Sehr oft wird behauptet, dass eine bestimmte Kampfkunst XY (wie zum Beispiel Wing Chun) komplett ist – sprich alles erdenkliche abdeckt: Alle Distanzen, sowohl Fauststöße als auch Tritte, und sogar Bodenkampf und den Waffenkampf sowie die Verteidigung gegen Messer und andere Waffen.
Doch was meist verschwiegen wird, ist, dass alle Kampfkünste eines gemeinsam haben: Sie spezialisieren sich auf einen bestimmten Aspekt. Und eben diesen einen Aspekt können sie richtig gut. Alles andere allerdings ist maximal mittelmäßig.
Erschwerend kommt außerdem noch hinzu, dass es auch sehr vom Trainer abhängt, was trainiert wird …
Doch der Reihe nach …
Die perfekte Kampfkunst gibt es nicht
Es ist schon irgendwie komisch. Da wird man irgendwann auf eine bestimmte Kampfkunst aufmerksam, vereinbart ein Probetraining und stellt fest, dass einem das Training großen Spaß macht. Man beschließt also kurzerhand sich einzuschreiben und geht von nun an mehr oder weniger regelmäßig zu den Gruppentrainings.
Und irgendwann glaubt man, dass diese eine Kampfkunst, auf die man per Zufall gestoßen ist, allen anderen Kampfkünsten überlegen ist. Es ist sozusagen die beste Kampfkunst von allen.
Mir erging es ja genauso. Ich habe vor mehr als 10 Jahren damit begonnen Wing Chun zu trainieren und habe auch bald geglaubt, dass es die perfekte Kampfkunst ist, die einfach alles abdeckt und allen anderen überlegen ist.
Wenn jemand blöd über Wing Chun geredet hat, dann habe ich ihn einfach als Idioten abgestempelt.
Heute glaube ich zwar, dass Wing Chun in manchen Bereichen einfach genial ist, doch für die perfekte Kampfkunst halte ich sie nicht mehr. Und ich glaube auch nicht, dass es die perfekte Kampfkunst überhaupt gibt.
Doch bleiben wir mal kurz beim Beispiel Wing Chun. Da gibt es vor allem drei Dinge, die mir nicht so gefallen:
Zum einen konzentriert man sich vor allem in den fortgeschrittenen Programmen fast nur noch auf das so genannte Chi Sao Training – optisches Reagieren hingegen wird so gut wie gar nicht trainiert. (Beim Chi Sao handelt es sich um taktiles Reaktionstraining und man lernt dadurch, dem Druck des Gegners folgen und ausweichen zu können. Weitere Details zu wichtigen Wing Chun Begriffen kannst du übrigens hier nachlesen)
Außerdem ist Wing Chun aus meiner Sicht hauptsächlich eine waffenlose Kampfkunst. Auch wenn sich weit fortgeschrittene mit Langstock und Doppelmesser beschäftigen: Erstens trainieren das Anfänger noch nicht und zweitens fand ich die Messerabwehren nie wirklich überzeugend, die man mir gezeigt hat (weshalb ich irgendwann auch angefangen habe eine Waffenkampfkunst zu trainieren).
Schlussendlich fühlte ich mich auch mit der Schrittarbeit nie so ganz wohl. Dieser letzte Punkt mag vielleicht nur mir so gehen, aber ich finde die Schrittarbeit im Wing Chun viel zu restriktiv. Ich möchte mich einfach mehr bewegen können. Doch darüber habe ich hier schon mal geschrieben. (Und auch wenn es dabei nur mir so geht: Es zeigt, dass es die perfekte Kampfkunst auch deshalb nicht geben kann, weil sie nie für alle passt)
Doch versteh mich jetzt bitte nicht falsch: Ich bin nach wie vor ein großer Fan von Wing Chun und trainiere es auch jetzt noch fast täglich. Denn für mich persönlich bietet diese Kampfkunst mehr Vorteile (sprich Stärken) als Nachteile. Nur eben mit diesen drei Dingen wurde ich nie so recht glücklich.
Und das geht mir auch nicht nur mit Wing Chun so:
Ich habe es ja kurz vorhin angedeutet, dass ich auch seit einer Weile eine Waffenkampfkunst trainiere. Und da gefallen mir auch einige Trainingsmethoden sehr gut, welche ich früher beim Wing Chun Training sehr vermisst habe.
Wieder andere Dinge fehlen mir dort aber, die ich an der Trainingsweise im Wing Chun wiederum sehr mochte.
Aber vielleicht kann man es mir einfach nur nicht recht machen … 🙂
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Dein Trainer ist auch nicht perfekt
(und auch du nicht)
Ich habe zwar jetzt die Behauptung aufgestellt, dass es die perfekte Kampfkunst gar nicht geben kann. Doch nehmen wir trotzdem mal an, dass es irgendwo eine solche gibt: Wie wahrscheinlich ist es, dass dein Trainer es auch so umsetzt, dass alles gleichberechtigt und gut unterrichtet wird? Ich stelle mal die Behauptung auf, dass diese Wahrscheinlichkeit nahe null ist.
Jeder von uns hat in bestimmten Dingen seine Stärken. Wieder andere Sachen können wir nicht so gut. Und jetzt ist es eben eine Tendenz von uns Menschen, dass wir jene Dinge, die wir gut können, eben sehr gerne trainieren und auch vorzeigen. Vor jenen Dingen, die wir nicht so gut können, schrecken wir aber zurück und zeigen sie nicht gerne her.
Kampfkunsttrainer machen da natürlich keine Ausnahme.
Ich nehme vielleicht mal das Beispiel Bodenkampf her: Ich bin mir sicher, dass das die meisten Trainer stark vernachlässigen. Erstens, weil das die meisten oft nicht so gut können (weil ja auch ihr Lehrer es nicht oder nur eingeschränkt hergezeigt hat).
Und dann kommt noch ein Aspekt erschwerend hinzu: Viele Trainierende hassen es, sich mit Bodenkampf zu beschäftigen. Leute, die den Bodenkampf lieben trainieren Dinge wie Judo, Brazilian Jiu Jitsu oder Luta Livre.
Leute, die Wing Chun, Jeet Kune Do oder Krav Maga trainieren, haben es aber meistens nicht so gern, wenn sie sich im Training auf dem Boden herumwälzen sollen.
Und das ist dann oft auch ein Grund, warum es der Trainer erst gar nicht herzeigt. Denn er (oder sie) will den Leuten Dinge zeigen, die ihnen Spaß machen. Sie sollen ja wiederkommen und nicht die Lust verlieren.
Wenn ich selbst ein paar Jahre zurückdenke, dann habe ich den Bodenkampf ja auch gehasst.
Und die Moral daraus: Weder die Kampfkunst, noch der Trainer und auch nicht die Trainierenden sind perfekt. Und deshalb gibt es auch kein perfektes Training.
Mein Fazit:
Doch was kann man daraus lernen?
- Such dir eine Kampfkunst, die gut zu dir passt und mache sie zu deiner Basis-Kampfkunst. Bei mir ist das Wing Chun. Und da es meine Basiskampfkunst ist, trainiere ich sie immer noch einige Stunden die Woche, obwohl ich mich nun schon so viele Jahre damit beschäftige.
- Vor allem als Fortgeschrittene(r) solltest du dich aber auch nach anderen Kampfkünsten (und vor allem auch anderen Trainingsmethoden) umsehen. Denn es ist geradezu unmöglich, dass deine Kampfkunst in allem gut ist.
- Und auch innerhalb einer Kampfkunst kann es nicht schaden, unterschiedliche Herangehensweisen (sprich unterschiedliche Trainer) kennenzulernen.
- Eines solltest du dabei aber nie vergessen, und zwar selbst das Hirn einzuschalten. Nimm nicht alles als gottgegeben hin, was man dir sagt. Denk selbst darüber nach. Nach einigen Jahren und entsprechendem Wissen und Können kannst du dir Übungen auch selbst zusammenstellen. Du brauchst dann nicht ständig einen Trainer, der dir sagt, was du machen sollst.
- Schlussendlich gibt es auch immer mehr Onlinekurse und DVDs am Markt zu vielen unterschiedlichen Kampfkünsten. Diese können dein Training enorm bereichern.
Ein schön dazu passendes Zitat von Bruce Lee:
Der Mensch als kreatives Individuum ist viel wichtiger als irgendein Stil oder System.
P.S.
Dies ist ein Beitrag zur Serie „7 Dinge, die dir dein Kampfkunstlehrer verschwiegen hat“
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