Im allgemeinen Sprachgebrauch kennen wir eigentlich nur zwei Stufen: Entweder jemand kann etwas oder er/sie kann es nicht. Man „kann“ demnach eine Kampfkunst wie Wing Chun und Eskrima – oder eben nicht.
Doch halt: Speziell wenn du eine Kampfkunst ausübst, wirst du mir sicher beipflichten, dass es hier doch mehr Abstufungen geben sollte.
Und es gibt auch ein interessantes Modell von Noel Burch aus den 70er Jahren, das sich sehr gut auf Wing Chun und Eskrima übertragen lässt. Die Rede ist vom Kompetenzstufenmodell bzw. von den 4 Stufen des Könnens …
Diese 4 Stufen sind:
- Unbewusste Inkompetenz
- Bewusste Inkompetenz
- Bewusste Kompetenz
- Unbewusste Kompetenz
Doch der Reihe nach …
Stufe 1: Unbewusste Inkompetenz
Du bist ihm sicher schon öfters im Training begegnet: Er hat absolut keine Ahnung von Wing Chun bzw. Eskrima, glaubt aber, dass er über alles bescheid weiß und alles besser kann als du.
Er kann demnach nichts, glaubt aber, dass er es kann. Somit ist er in der ersten Stufe gefangen Der Stufe der unbewussten Inkompetenz (und „gefangen“ trifft es wirklich sehr gut).
Wenn er seine Einstellung nämlich nicht ändert, dann wird er diese Stufe auch niemals verlassen. Denn wer schon glaubt alles zu können, tut nichts mehr dafür um wirklich neues zu lernen. Er bleibt also auf ewig hier gefangen.
Stufe 2: Bewusste Inkompetenz
Auf den ersten Blick bleibt Inkompetenz natürlich Inkompetenz. Trotzdem ist man auf der zweiten Stufe echtem Können schon einen riesen Schritt näher gekommen. Denn man ist sich hier bewusst, dass man etwas nicht kann.
Und wenn man sich sein Nichtkönnen eingesteht, dann hat man eine Chance dazuzulernen und sich zu verbessern. Und das macht einen riesen Unterschied!
Stufe 3: Bewusste Kompetenz
Wenn der Lehrer/Ausbilder etwas vorzeigt, dann sagt das noch nichts darüber aus, ob er/sie es spontan in einem Kampf anwenden könnte.
Eigentlich zeigt er/sie damit nur, dass er/sie es bewusst ausführen kann. Das heißt, der Lehrer kann das Vorgezeigte perfekt ausführen, wenn er sich bewusst darauf konzentriert.
Und das ist einer der Gründe, warum es so lohnenswert ist zu unterrichten: Man kann dadurch ständig Dinge wiederholen und bewegt sich damit immer mehr in Richtung Stufe 4 – also in Richtung von echtem Können.
Stufe 4: Unbewusste Kompetenz
Das ist die Stufe der Meister bzw. Großmeister. Sie müssen nicht mehr darüber nachdenken und sich auch nicht mehr auf bestimmte Dinge konzentrieren, um sie korrekt ausführen zu können.
Vielmehr können sie die Techniken bzw. sogar die Prinzipien (=Großmeister) im Kampf spontan einsetzen und ihren Gegner damit mit Leichtigkeit besiegen.
Sie verfügen über sehr gute Balance, optische & taktile Reaktionen, über ein perfektes Distanzgefühl und Timing. Und all das besitzen sie auch im Chaos eines echten Kampfes.
Erst die vierte Stufe ist somit wahres Können.
Wo befindest du dich?
Wenn du erst am Anfang stehst, dann wirst du dich ausschließlich in Stufe 1 und 2 wiederfinden.
Bist du aber schon etwas fortgeschrittener bzw. unterrichtest du sogar Wing Chun oder Eskrima, dann befindest du dich wahrscheinlich zum Teil in allen vier Stufen.
Denn: Man kann sich einer Stufe nicht einfach so pauschal zuordnen. Manche Dinge funktionieren schon sehr gut, weil man sie tausende Male trainiert hat. Ich muss zum Beispiel nicht mehr über die Gleichzeitigkeiten oder die Schrittarbeit im Wing Chun nachdenken. Das geht bereits vollautomatisch. Ich befinde mich hier also bereits in Stufe 4.
Manche Dinge (welche ich noch nicht so lange übe) kann ich zwar bewusst ausführen, jedoch könnte ich sie noch nicht spontan im Kampf einsetzen. Ein Beispiel ist hier mein Waffentraining im Wing Chun. Ich beschäftige mich zwar schon eine Weile mit den Doppelmessern, jedoch könnte ich die Anwendungen noch nicht spontan und in vollem Tempo so schön ausführen.
Und bei einigen Dingen (welche von Jahr zu Jahr zum Glück weniger werden) bin ich noch in den ersten beiden Stufen beheimatet. Was den Bodenkampf betrifft, kann ich zwar die Dinge aus dem Schülerprogramm schon recht gut, aber wirklich daheim fühle ich mich am Boden nicht. Zum einen weiß ich, dass mir hier die eine oder andere Kompetenz fehlt (= Stufe 2). Doch ich bin mir sicher, dass ich mir über manche Inkompetenz noch nicht mal im Klaren bin (=Stufe 1).
Das Ziel kann es daher nur sein, sich nach und nach in Richtung von Stufe 4 zu bewegen. Das geht aber nur Schritt für Schritt.
Ich wünsche dir viel Spaß auf deinem Weg zu wahrem Können!
Martin Grünstäudl – kampfkunstblog.com
Harald Halmer meint
Hallo Martin,
Nach wie vor schaue ich in deinen Blog und bin seit jeher von deinem Angebot begeistert. Dank diesem trainiere ich immer noch erfolgreich WT & Eskrima – dafür VIELEN DANK!!
Im vorliegenden Text hat sich wohl der Fehlerteufel eingeschlichen.
In deiner Einleitung schreibst du:
Diese 4 Stufen sind:
Unbewusste Inkompetenz
Bewusste Inkompetenz
Bewusste Kompetenz
Unbewusste Inkompetenz
Doch der Reihe nach …
Im nachfolgenden Text wird Stufe vier natürlich richtig benannt.
Ich bin selbst Autor und weiß um die ‚Betriebsblindheit‘ bei eigenen Texten 😉.
Natürlich nur ein klitzekleiner Flüchtigkeitsfehler, der korrigiert werden sollte um deine Kompetenz nicht zu beschmutzen – sozusagen den Kratzer aus dem Pokal polieren 🤣 kleiner Spaß am Rande 😉
Martin Grünstäudl meint
Hallo Harald,
vielen Dank für den Hinweis. Habe es soeben ausgebessert 🙂
Liebe Grüße
Martin