Die meisten Kampfkunsttrainer haben eine Macke: Sie wollen vor ihren Schülern als Superhelden und Alleskönner dastehen.
Doch es gibt Momente, wo sie bei diesem Versuch einfach nur peinlich wirken …
Dann nämlich, wenn es offensichtlich ist für Umstehende, dass sie etwas NICHT können – trotzdem aber darauf beharren, dass sie es können.
Ein Beispiel aus eigener Erfahrung:
Ich habe viele Jahre Wing Tsun in der EWTO trainiert. Da Wing Tsun (oder allgemeiner gesprochen Wing Chun als Überbegriff) aber vor allem waffenlos ist, wollte ich auch mal eine Waffenkampfkunst ausprobieren – und zwar außerhalb der EWTO.
Ich ging also zum SAMI nach Wien um dort regelmäßig Messer- und Stockkampf zu trainieren.
So weit so gut … Meinem WingTsun-Lehrer hat dies aber gar nicht geschmeckt. Er hat mich zwar nie darauf angesprochen, aber es war offensichtlich.
Und so hat er schon bald darauf eine Themenklasse abgehalten (im Rahmen des normalen wöchentlichen Gruppenunterrichts) – mit dem Thema: Stockkampf.
Ich muss vorausschicken, dass man im Wing Tsun so gut wie nie einen Stock in der Hand hat und die meisten Leute somit nicht damit umgehen können. Aber was soll´s auch. Wing Tsun / Wing Chun ist eben auf andere Sachen spezialisiert.
Doch mein Lehrer ließ es sich nicht nehmen, mich für einen Doppelstockablauf (auch bekannt als Sinawali Drill) zum Vorzeigen zu nehmen.
Sein Ziel war es offensichtlich, mich davon zu überzeugen, dass man auch im Wing Tsun Stockkampf im Programm hat und ich es mir also sparen kann, extra dafür nach Wien zu pendeln.
Doch das ist ihm gründlich in die Hose gegangen. Als er versucht hat, das Tempo etwas anzuziehen, hab ich dasselbe gemacht und er hat gar nicht glücklich dabei ausgesehen.
Danach hat er dann gemeint, dass er vielleicht jetzt nicht so professionell rübergekommen ist. Doch das war nur, weil er Angst hatte, mich zu verletzen …
Ja klar, DAS war der Grund 🙄
Doch wieso kann man sich seine Schwächen nicht auch mal eingestehen? Niemand erwartet von einem Kampfkunstlehrer, dass er überall perfekt ist.
Und das tragische für jenen, der glaubt, als Alleskönner dastehen zu müssen: Du entwickelst dich mit dieser Einstellung nicht weiter.
Ein zweites Beispiel wird letzteren Aspekt besser verdeutlichen:
Es trug sich ebenfalls in jener EWTO-Schule zu, wo ich früher trainiert habe. Ich hab für meinen Kampfkunstlehrer vertretungsweise den Unterricht übernommen und es war auch ein Ausbilderanwärter da, der bald darauf selbst mit dem Unterrichten begonnen hat.
Ich weiß nicht mehr, was wir zu Beginn der Stunde trainiert haben. Aber da hat er auch noch voller Elan mittrainiert. Das dürfte ihm wohl gelegen haben.
Doch dann haben wir begonnen, uns etwas mit Messerabwehr zu beschäftigen. Und zwar nicht nur fixe Anwendungen, sondern auch freie und gemeine Angriffe mit dem Trainingsmesser.
Abwehren versuchen, sich bewegen und wenn möglich kontern. Um einfach mal zu sehen, wie man sich dabei tut und wie die Chancen sind bei einer Messerattacke.
Jedenfalls war es eine Übung, die sonst nie trainiert wird in einem typischen Unterricht.
Da er das selbst auf diese Art wohl auch nie trainiert hat, war ihm sofort klar, dass er dabei nicht besser aussehen würde als seine künftigen Schüler.
Und schon war er weg – und nicht wieder im Trainingsraum gesehen. Dafür aber im Büro – vertieft in ganz wichtigen Aktenordnern.
Jetzt meine Frage an dich? Wird er mit dieser Einstellung seine Schwächen je ausmerzen können?
Ich denke nicht.
Erst wenn du dir deine Schwächen eingestehst, wirst du sie überwinden können. Nur wenn du offen zugibst, etwas nicht zu können, tun sich für dich neue Trainingsmöglichkeiten auf. Denn erst dann wirst du auch mit niedriger graduierten Schülern trainieren können ohne dich deines (noch) mangelnden Könnens schämen zu müssen.
Und damit sind wir wieder bei der Aussage in der Überschrift angelangt: Nur wer sich seine Schwächen eingesteht, kommt der Perfektion am nächsten*.
* Der Spruch ist aber nicht von mir. Ich hab ihn Goethe abgeluchst. Allerdings hab ich nur das englische Goethe-Zitat gefunden. Wie das Original genau lautet, weiß ich leider nicht: The man with insight enough to admit his limitations comes nearest to perfection.
Foto: evgenyatamanenko - clipdealer.com
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