Selbstverteidigung endet nicht unbedingt mit der körperlichen Auseinandersetzung.
Selbst wenn du den Kampf an sich gewonnen hast, kannst du den Kampf vor Gericht noch verlieren. Und das kann im wahrsten Sinne teuer werden.
Anmerkung: Dies ist der vierte und letzte Teil unserer Serie „Selbstverteidigung: 33 Regeln für deine Sicherheit„. Dieses Mal geht es um die dritte Phase der Selbstverteidigung – also um die Verteidigung vor Gericht.
Kapitel 3: Die Selbstverteidigung vor Gericht
Regel Nr. 32: Beachte geltendes Notwehrrecht
Auch wenn wir zwei vielleicht wissen, dass es sehr schwierig ist, einen Angriff einfach mal so abzuwehren und man deshalb besser selbst präventiv angreifen sollte. Der Gesetzgeber sieht das nicht unbedingt genauso wie du und ich.
Hier mal ein kurzer Auszug aus dem österreichischen Strafgesetzbuch zum Thema Notwehr:
„Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren. Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, dass dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.“
Doch wann droht ein Angriff unmittelbar? Leider kann der Aggressor im Nachhinein ja beteuern, dass er sowieso nicht angegriffen hätte, sondern seinen Frust nur verbal an dir auslassen wollte.
Und noch etwas: Ab wann ist eine Abwehrhandlung unangemessen?
Doch weiter geht das Trauerspiel:
„Die Abwehrhandlung, welche das Opfer setzt, muss in Anbetracht der Umstände angemessen sein. Die Abwehrhandlung muss in Relation zum Angriff stehen. Grundsätzlich gilt, dass wenn jemand auf einen mit bloßen Fäusten losgeht, derjenige sich ebenso mit den Fäusten verteidigen muss, es sei denn, der Angreifer ist dem Opfer körperlich offensichtlich überlegen. In diesem Fall darf der Angegriffene zu einer Waffe greifen, aber auch diese muss er mit Maß und Ziel einsetzen.“
Doch wann ist der Angreifer dem Opfer körperlich OFFENSICHTLICH überlegen? Und wie setzt man eine Waffe konkret mit MAß und ZIEL ein?
Quelle: lexlegis
Und noch so einen ermutigenden Kommentar zum Notwehrrecht durfte ich entdecken:
„Durch Notwehr ist jene (notwendige) Handlung gedeckt, die den Angriff sofort und endgültig abwehrt und von den verfügbaren Mitteln das schonendste darstellt.“
Im Klartext bedeutet dies wohl, dass ich in einer brenzligen Situation zuerst mal ein paar Minuten drüber nachgrübeln muss, was denn nun das schonendste Mittel zur Abwehr des jeweiligen Angriffs darstellt. Vielleicht gewährt mir der Angreifer ja auch einen Telefonjoker?
Okay, das ganze ist dann doch nicht so streng:
„Zwar muss jene Abwehrhandlung durchgeführt werden die die schonendste darstellt, dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine „unsichere“ Methode nicht gewählt werden muss.“
Quelle: rechteinfach.at
Im deutschen Strafgesetzbuch liest man im § 32:
„Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“
Und im § 34 heißt es weiters:
„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“
Ich weiß jetzt, warum ich nicht Anwalt wurde …
Quelle: dejure.org
Nein, Spaß beiseite: Einen Unterschied zum österreichischen Gesetzestext konnte ich erkennen: In Deutschland gilt auch die Ehre als schützenswert und offenbar von der Notwehr gedeckt, in Österreich hingegen nicht.
Ansonsten muss wohl ein Computer komplizierte Entscheidungsalgorithmen berechnen bevor ich weiß, was ich in der jeweiligen Situation tun darf.
Und die Moral von der Geschicht: Wenn du die Wahl hast zwischen Kämpfen oder Nicht, entscheide dich für Nicht.
Zum Glück gibt es aber anscheinend doch Leute, die in punkto Notwehrrecht den Durchblick haben. Sehr empfehlenswert finde ich da z.B. dieses Buch, dass auch für Laien sehr verständlich geschrieben ist: Notwehrrecht in der Praxis – Handbuch für Kampfkünstler … Damit könnte es doch noch klappen mit der Selbstverteidigung vor Gericht 😉
Regel Nr. 33: Bring Zeugen auf deine Seite
Es gibt bereits einiges an Forschungsergebnissen zum Thema Augenzeugen und deren Zuverlässigkeit. Und all diese Ergebnisse zeigen vor allem eines:
Augenzeugenberichte sind alles andere als zuverlässig.
Gerade in einer Situation, in der dich irgendein Idiot mitten in der Nacht in einer Bar belästigt, kommt noch erschwerend hinzu, dass die meisten Umstehenden selbst schon einiges getrunken haben. Das wiederum mindert die Zuverlässigkeit von Augenzeugenberichten noch weiter.
Und das ist noch lange nicht das Ende der schlechten Nachrichten: Selbst Informationen, die man später bekommen hat und Fragen, die einem nach dem betreffenden Ereignis gestellt wurden, werden von Augenzeugen ins Gedächtnis integriert und beeinflussen dieses.
Wenn wir also eine Falschaussage machen, dann heißt das nicht unbedingt, dass wir lügen. Wir glauben ja selbst daran, dass wir der Polizei oder dem Richter die Wahrheit erzählen, auch wenn es sich tatsächlich ganz anders zugetragen hat.
Aber ich will dich jetzt nicht komplett entmutigen: Da ja Augenzeugen sehr stark durch Informationen von außen beeinflussbar sind, bedeutet dies ja auch, dass du diesen Umstand für deinen Vorteil nutzen kannst. Du musst Umstehenden nur zeigen, dass du es NICHT warst, der Streit wollte.
Wenn du also deeskalierend auf den Aggressor einredest, dann tust du das nicht nur, um ihn davor abzuhalten, dich anzugreifen. Du tust es auch, um Augenzeugen auf deine Seite zu ziehen. Damit dies aber funktioniert, musst du es allen Beteiligten unmissverständlich deutlich machen, dass du die Auseinandersetzung weder gewollt noch zugespitzt hast.
Und keinesfalls solltest du deinem Kontrahenten lautstark drohen. Denn wie gesagt: Diese Information würden Augenzeugen mit Sicherheit fehlinterpretieren und dich als Aggressor wahrnehmen. Dass der andere in Wahrheit angefangen hat, wissen sie ja nicht.
Zwei Zusatztipps in Sachen Selbstverteidigung
Zum Abschluss dieser vierteiligen Serie in Sachen Selbstverteidigung habe ich noch zwei Zusatztipps für dich:
Regel Nr. 34: Trainier Selbstverteidigung, nicht bloß Kampfkunst
Ich weiß, dass viele Kampfkunstlehrer anderes behaupten, aber Fakt ist: eine Kampfkunst ist nicht automatisch gleichzusetzen mit wirksamem Selbstverteidigungstraining.
Der Grund dafür ist schnell erklärt: Der Trainingsaufbau der meisten Kampfkünste eignet sich nämlich nicht wirklich, wenn man das Ziel hat, sich schnellstmöglich gegen die meisten Bedrohungen und Angriffe schützen zu können.
Oder nimm nur mal das das Üben von Katas im Karate als Beispiel her: Es ist schon richtig, dass sich das irgendwann mal auswirken wird. Doch das Problem ist, dass es sehr sehr lange dauert, bis der gewünschte Nutzen zu Tage tritt.
Und wenn du nicht 20 Jahre warten willst, bis du dich endlich verteidigen kannst, dann ist diese Art des Trainings für dich wohl nicht die beste Wahl.
Und by the way: Mit Kampfsport ist Selbstverteidigung ebenso wenig gleichzusetzen, denn dort gibt es Wettkämpfe und somit Regeln. Und auf der Straße gibt es keine Regeln und schon gar keine Fairness. Such dir daher lieber ein Kampfsystem (und auch einen Trainer), das sich auf Selbstverteidigung spezialisiert hat.
Zu diesem Thema könnten dich vielleicht folgende Videos interessieren:
Ist Wing Chun die beste Selbstverteidigung?
Kampfsport trainieren zwecks Selbstverteidigung? Ist das sinnvoll?
Regel Nr. 35: Nicht nur lesen, sondern auch umsetzen!
Ich verrate dir ein Geheimnis: Dies ist eine Artikelserie zum Thema Selbstverteidigung, die dich zum Handeln animieren soll.
Es ist wirklich wichtig, dass du diese Regeln nicht nur liest, sondern, dass du sofort ins Umsetzen kommst. Wir können uns nämlich langfristig nur einen Bruchteil dessen merken, was wir lesen – das meiste vergessen wir schnell wieder.
Und was hätten die ganzen Tipps dann schon großartig gebracht, außer vielleicht ein paar augenblicklichen AhaMomenten?
Du hättest absolut nichts damit gewonnen. Mach also nicht den Fehler, den viele machen. Stell dir stattdessen bei jeder einzelnen der 33 (oder eigentlich sind´s 35) Regeln die Frage, was das für dich bedeutet und welche Schlüsse du daraus für deinen Alltag und dein Kampfkunst- bzw. Selbstverteidigungstraining ziehst.
Es geht ja schließlich um deine Sicherheit. Und das sollte dir doch ein wenig Aufwand wert sein. Zumindest hoffe ich, dass DU es DIR wert bist.
Und übrigens:
Kennst du die 72-Stunden-Regel?
Sie besagt, dass wir alle Vorhaben, Ideen und Vorsätze wahrscheinlich nie umsetzen werden, wenn wir nicht innerhalb von 72 Stunden ins Handeln kommen. ALSO TU ES JETZT.
Für Eilige: Alle Regeln noch einmal auf einen Blick
Hier sind nochmals alle 33 35 Selbstverteidigungsregeln kurz zusammengefasst:
- Meide gefährliche Plätze und Situationen
- Sei nachts nicht alleine unterwegs
- Zeig dich selbstbewusst
- Trink nicht zu viel Alkohol
- Sei achtsam im Alltag
- Misch dich nicht gleich überall ein – hol lieber Hilfe
- Befreie dich von deinem Ego
- Lauf weg wann immer es geht
- Mach dich bemerkbar, wenn´s brenzlig wird
- Überleg dir gute Antworten auf Anmachsprüche
- Versuche zu deeskalieren
- Wenn du es dir zutraust, dann bluffe
- Trainiere alle denkbaren Bedrohungssituationen
- Trainiere deine Schlagkraft und deine Reaktionen
- Lerne wirksame Selbstverteidigungstechniken
- Trainiere mit unterschiedlichen Trainingspartnern
- Trainiere auch die Abwehr freier Angriffe
- Trainiere regelmäßig bzw. frische regelmäßig dein Wissen auf
- Trainiere auch den Einsatz von Hilfsmitteln
- Halte den Aggressor immer auf Distanz
- Konzentrier dich auf die Schwachstellen des Gegners
- Setz alles an deinem Körper als Waffe ein
- Greif zuerst an
- Setze Alltagsgegenstände als Waffe ein
- Mach dir bewusst, was dich alles in einer körperlichen Konfrontation erwartet
- Spiele die wichtigsten Bedrohungssituationen gedanklich durch
- Sei zu allem bereit – deine Gesundheit geht vor!
- Sei auch bereit, dich gegen Vertraute zur Wehr zu setzen
- Trainiere auch den Einsatz eines Triggerworts
- Trainiere, auch unter Stress einen kühlen Kopf zu bewahren
- Probiere auch mal Meditation aus
- Beachte geltendes Notwehrrecht
- Bring Zeugen auf deine Seite
- Trainiere ein geeignetes Kampfsystem
- Setze all diese Tipps auch in die Tat um!
PS: Hier noch mal der Ausgangsartikel zur Serie: Selbstverteidigung – 33 Regeln für deine Sicherheit
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