Obwohl es in vielen Kampfkünsten wie dem Wing Chun gar kein Gürtelsystem gibt, so ist dennoch allgemein bekannt, dass der weiße Gürtel den Anfänger und der schwarze Gürtel sozusagen den Profi repräsentiert.
Der schwarze Gürtel ist in einer Kampfkunst so etwas wie der Ritterschlag, den nur die besten bekommen. Zumindest ist das die öffentliche Vorstellung, wenn es um den schwarzen Gürtel geht. Doch die Realität sieht eigentlich anders aus …
Im Judo beispielsweise gibt es erstmal sechs unterschiedliche Farben, die die Schülergrade repräsentieren – von weiß bis braun. Danach beginnen die Schwarzgurte (ja richtig – Mehrzahl). Der erste schwarze Gürtel nennt sich da 1. Dan, dann kommt der zweite Dan und so weiter. Danach sind sie rot-weiß-gestreift um schließlich als neunter und zehnter Dan komplett rot zu sein. Demnach stellt hier der rote Gürtel die höchste Graduierung dar.
Im Karate wiederum gibt es wie im Judo 10 Dan-Grade, jedoch bleibt man hier bis zum Schluss beim schwarzen Gürtel. Doch es bleibt auch hier dabei: Wenn man zum ersten Mal den schwarzen Gürtel bekommt, dann hat man erstmal „nur“ den 1. Dan inne.
Doch was heißt das jetzt konkret?
In vielen japanischen Kampfkünsten – wie eben auch im Judo und im Karate – spricht man immer wieder davon, dass der schwarze Gürtel genauso wie der weiße ein Anfängergürtel ist.
Ja richtig gelesen: ein Anfängergürtel!!
Doch bevor du jetzt dein Training an den Nagel hängst, weil ich dich total demotiviert habe, möchte ich das ganze gleich mal relativieren: Gemeint ist natürlich nicht, dass du mit dem schwarzen Gürtel noch nicht mal mehr kannst als jemand der zum allerersten Mal die Kampfkunstschule bzw. das Dojo betritt.
Der weiße Gürtel ist nämlich der Beginn der Technik. Hier lernst du erstmal Schritt für Schritt die wichtigen Grundtechniken und die Beinarbeit der jeweiligen Kampfkunst. Du lernst auch alle wichtigen Abwehren und Angriffe und trainierst dabei sowohl alleine als auch mit Partner.
Wenn man jedoch vom schwarzen Gürtel als einem zweiten Beginn spricht, dann meint man damit nicht den Beginn der Technik, sondern den Beginn des Verständnisses.
Ich finde diese Sichtweise sehr interessant, denn viele Fortgeschrittene halten sich oft für viel besser als sie tatsächlich sind. Nach dieser Sichtweise allerdings markiert der schwarze Gürtel eben nur den BEGINN des Verständnisses. Du fängst also an, die Dinge, die du ständig trainierst, endlich auch zu verstehen.
Das bedeutet wiederum auch, dass du als Schwarzgurtträger nicht mehr ständig einen Trainer brauchst um effektiv an dir und deinem Können zu arbeiten. Im Gegenteil: Du bist nun in der Lage dein Training großteils selbst zu gestalten und hast deine Fortschritte nun eben auch zu einem Großteil selbst in der Hand. Du bist nun nicht mehr so stark auf andere angewiesen.
Leider sehen das viele Fortgeschrittene anders. Ich habe in meiner Zeit bei der EWTO (einer großen Wing Chun Organisation, bei der ich immerhin gut 10 Jahre lang war) oft die Erfahrung gemacht, dass selbst hohe Technikergrade der Meinung sind, nur von ihrem Lehrer etwas lernen zu können. Deshalb sind sie mindestens einmal im Monat zu einem Seminar von ihm gefahren und dachten, dass sie das jetzt am deutlichsten voranbringen würde. Doch natürlich hat fast keiner von ihnen diese Dinge auch zuhause trainiert. Und so denk ich mal ist der Großteil des Trainingseffekts auch gleich wieder verpufft.
Und niemand von ihnen kam auf die Idee, dass man sein Training auch zu einem Teil selbst gestalten und sogar voneinander – also auch von seinen Trainingspartnern – lernen könnte.
Dabei ist jeder von uns in einer anderen Sache gut. Und auch jeder von uns hat so seine Schwächen. Wenn ich jetzt mit jemandem trainiere, der eine vergleichbare Trainingserfahrung hat wie ich, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich in Teilbereichen sehr viel von ihm oder ihr lernen kann. Doch unser Ego macht uns da häufig einen Strich durch die Rechnung und wir erkennen das nicht bzw. wollen es nicht wahrhaben.
Was ist im Wing Chun der schwarze Gürtel?
Da ich weiß, dass hier viele Wing-Chun-Trainierende mitlesen: Was ist im Wing Chun vergleichbar mit dem schwarzen Gürtel?
Die meisten würden wohl jetzt antworten, dass der erste Technikergrad den schwarzen Gürtel repräsentiert. Doch ich bin da anderer Meinung.
Denn wie gesagt: der schwarze Gürtel ist der Beginn des VERSTÄNDNISSES. Und mit dem ersten Technikergrad hast du noch kein wirkliches Verständnis von Wing Chun.
Für mich ist daher der schwarze Gürtel im Wing Chun der zweite Technikergrad.
Dies hat einen einfachen Grund: Im Wing Chun haben wir (zumindest was das waffenlose Kämpfen betrifft) sozusagen drei „Subsysteme“ für die wir auch extra Sektionen haben: Es sind dies die Cham Kiu, die Biu Tze und die Holzpuppe.
Mit Abschluss des ersten Technikergrades hast du noch nicht mal eines dieser „Subsysteme“ abgeschlossen (unter „abgeschlossen“ meine ich, dass du das Verständnis dafür erlangt hast und nicht, dass du es schon perfekt beherrscht). Den Abschluss der Cham Kiu markiert nämlich erst der zweite Technikergrad (zumindest ist das in den meisten Wing Chun Verbänden so) – hier lernst du nämlich die noch fehlenden Sektionen 5 bis 7.
Für einen Wing Chun Praktizierenden bedeutet diese Erkenntnis zweierlei:
- Bleib bescheiden. Mit dem ersten Technikergrad hast du noch nicht mal die zweite Beginnerstufe erreicht. Und selbst mit dem zweiten Technikergrad bist du immer noch am Beginn (zwar nicht mehr der Technik aber des Verständnisses).
- Wenn du als zweiter Technikergrad nicht langsam anfängst, selbst zu einem Teil dein Training in die Hand zu nehmen und Verantwortung für deine Fortschritte zu übernehmen, dann bist du kein Schwarzgurtträger. Der wahre schwarze Gürtel hat nämlich nichts damit zu tun, ob du eine Urkunde bekommen hast. Es hat damit zu tun, ob du dieses Niveau und diese Einstellung erreicht hast oder nicht.
Lass das doch einen Moment lang auf dich einwirken – und dann ab zum Training 😉
P.S.
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