Ich bin ein großer Fan des Trainings mit Pratzen. Meiner Meinung nach sollte jeder ernsthafte Kampfkünstler bzw. Kampfsportler von Zeit zu Zeit damit trainieren, da diese Art des Trainings jede Menge wichtiger Fähigkeiten schult.
Gerade in Kampfsportarten wie dem Kickboxen ist es ja gang und gäbe, dass man auch mit Pratzen trainiert. In vielen Kampfkünsten wie dem Wing Chun fristet das Pratzentraining allerdings ein Schattendasein – zu unrecht wie ich meine.
Doch was sind Pratzen überhaupt?
Pratzen sind spezielle Schlagpolster, die über die Hände gestülpt werden. Da man sie ähnlich einem Boxhandschuh anziehen kann, sind sie im Grunde so etwas wie ein Handschuh mit einer Polsterung auf der Handfläche. Diese Polsterung ermöglicht es dem Übenden, auch fester zuschlagen zu können ohne dabei Verletzungen zu riskieren.
Das Training mit der Pratze
Das Pratzentraining ist immer eine Partnerübung – Pratzen werden also nur beim Training zu zweit eingesetzt. Trainiert man alleine, muss man auf Dinge wie Boxsack, Schlagbirne und Punching Ball ausweichen, die zwar ähnliche aber nicht exakt dieselben Fähigkeiten trainieren wie das Pratzentraining.
Das Training mit den Pratzen sieht meist so aus, dass der Trainingspartner die Pratze hält, während der Übende Fauststöße trainiert. Dabei kann man die unterschiedlichsten Fauststöße und auch Kombinationen daraus trainieren, egal ob gerade Fauststöße, Haken, Jabs etc. Auch Handkantenschläge wie zum Beispiel der Fak Sao im Wing Chun sind dabei trainierbar.
Eher selten werden mit Pratzen auch Tritte geübt, da man hier nicht mit voller Kraft treten kann ohne eine Verletzung des Trainingspartners zu riskieren. Im Rahmen eines Reaktionstrainings ist aber auch das denkbar (und wird in manchen Kampfkünsten wie dem Jeet Kune Do auch so trainiert)
Möchte man sich aber speziell auf das Tritttraining konzentrieren, dann werden statt Pratzen Schlagpolster bzw. sehr oft so genannte Thaipads eingesetzt, da man hier stärker treten kann ohne gleich ernste Verletzungen zu riskieren.
Eine weitere Einsatzmöglichkeit ist es auch, dass nicht auf die Pratzen geschlagen wird, sondern umgekehrt MIT den Pratzen geschlagen wird – dass also derjenige, der die Pratzen hält, den Übenden angreift. Damit werden vor allem optische und taktile Reflexe geschult.
Unterschiedliche Ausführungen
Was die Qualität und die Ausführung von Pratzen betrifft, gibt es große Unterschiede. Wenn man es mit dem Training ernst meint, dann sollte man vor allem auf robuste Materialien und saubere Verarbeitung setzen.
Meist sind auch gebogene / gekrümmte Pratzen besser fürs Training geeignet als gerade (zumindest ich persönlich habe die gebogenen viel lieber, da man sie besser festhalten kann).
Was die Dämpfungsgrade betrifft, kommt es darauf an, was man trainieren möchte:
- Wenn es eher um Schlagkraft geht, dann sollten härtere Pratzen gewählt werden.
- Ist der Fokus des Trainings eher auf Reaktionen und Meidbewegungen, dann sollten sie besser gepolstert sein, um den Übenden zwischendurch auch immer wieder mal etwas schneller angreifen zu können ohne Verletzungen zu riskieren.
Der Nutzen des Pratzentrainings
Der Nutzen des Pratzentrainings ist sehr vielfältig und reicht von besserer Präzision über den Abbau von Schlaghemmungen bis hin zu gesteigerter Fitness:
Vielfältige Trainingsmöglichkeiten
Mit Pratzen lassen sich Schlag-, Tritt-, Schritt- und Meidtechniken trainieren. Und je nach Schwerpunkt kann man damit entweder seine Technik, seine Reaktionsfähigkeit oder auch seine Schlagkraft trainieren.
Damit hat man im Vergleich zum Boxsacktraining auch deutlich vielfältigere Trainingsmöglichkeiten.
Abbau von Schlaghemmungen
Ein besonderer Vorteil des Pratzentrainings ist auch, dass man seine Schläge voll durchziehen kann. Damit eignet es sich auch wunderbar zum Abbau von Schlaghemmungen.
Und gerade Anfänger haben fast immer Schlaghemmungen.
Mein Tipp daher:
Wenn du Schlaghemmungen SCHNELLSTMÖGLICH loswerden willst, dann solltest du es mal mit dem Pratzentraining versuchen.
Schulung diverser Kombinationen
Vor allem im Boxen wird das Pratzentraining sehr häufig dafür verwendet, diverse Schlagkombinationen zu trainieren um sie später spontan in einem Boxkampf abrufen zu können.
Auch wenn solche Automatismen nicht das wirkliche Ziel in einer Kampfkunst sein können – für einen Anfänger kann das Trainieren solcher Kombinationen sehr nützlich sein. Der Anfänger kann sie somit einsetzen ohne in einer brenzligen Situation lange darüber nachdenken zu müssen.
Für den Kampfkunstmeister allerdings sollte gelten:
Be water, my friend 🙂 (Bruce Lee)
bzw. wie es Alberto Moravia ausdrückte:
Das Zeichen großer Kunst ist Mühelosigkeit
… und Mühelosigkeit beinhaltet eben keine eintrainierten Kombinationen.
Schulung allgemeiner Kampffähigkeiten
Der wahre Nutzen des Trainings mit Pratzen liegt genau hierin – im Aufbau allgemeiner Kampffähigkeiten. Und dazu zählen vor allem:
- Schlagkraft und Schnelligkeit
- Präzision, Distanzgefühl und Timing
- taktiles und optisches Reaktionsvermögen
- Koordination und Kondition / körperliche Fitness
Pratzentraining als Bereicherung
Das Training mit Pratzen liefert aber noch einen Nutzen:
Es ist abwechslungsreich und somit eine Bereicherung für jeden Trainingsplan – und zwar egal ob du den Fokus auf den Aufbau kämpferischer Fähigkeiten legst oder nur fit werden möchtest. (Das Pratzentraining eignet sich mit Sicherheit auch gut zum Abnehmen 😉 )
So hältst du die Pratzen richtig
Beim Pratzentraining liegt viel Verantwortung beim Trainingspartner. Wenn er/sie die Pratzen falsch hält, dann ist der ganze Trainingseffekt futsch.
Hier einige Regeln für den Trainingspartner:
- Die Pratzen sollten nicht zu weit weg vom Körper gehalten werden. Gerade Anfänger machen diesen Fehler leider recht häufig, da sie Angst haben durch die Wucht des Schlages getroffen zu werden. Das Problem dabei ist, dass man so nicht ernsthaft trainieren kann.
- Die Pratzen sollten auch nicht komplett gerade gehalten werden sondern in einem leichten Winkel (wobei die Finger etwas weiter vorne sind als der Handballen).
- Beim Reaktionsschlagtraining ist es besser, wenn man die Pratzen an den Brustkorb anlegt statt sie ständig komplett runterzugeben.
- Der vielleicht wichtigste Tipp für das Pratzentraining ist aber der, dass du beim Auftreffen der Faust immer etwas dagegendrückst, sodass der Übende nicht ständig das Gefühl hat ins Leere zu schlagen.
Trainingstipps & Ideen
Pratzen können grob gesagt auf drei Arten eingesetzt werden:
- Du hältst sie statisch bzw. in vorher abgesprochener Reihenfolge für diverse Schläge bereit um damit Dinge wie Schlagkraft, Präzision und Schnelligkeit zu trainieren.
- Du machst daraus ein Reaktionsschlagtraining (bzw. Reaktionstritttraining), indem du sie auf unterschiedliche und nicht vorher abgesprochene Weise deinem Trainingspartner hinhältst. Dieser muss jeweils mit einem bestimmten Schlag (oder Tritt) reagieren. Eben je nachdem wie du ihm die Pratzen hinhältst. Dies ist vor allem ein prima Training in punkto Distanzgefühl und Timing.
- Du kannst den Fokus aber auch auf die Ausbildung taktiler und optischer Reflexe legen. Vor allem wenn man weiche Handpratzen benutzt, kann man damit auch den Übenden angreifen oder aber einen Angriff im Ansatz stören. Ein paar Beispiele hierfür gibt es in den beiden nachfolgenden Trainingsvideos:
Hier ein paar weitere Ideen von mir in punkto Pratzentraining …
Training von Schlagkraft und Präzision:
(1)
Wie wär´s zum Beispiel mal mit dem Training von Kettenfauststößen? Das Ganze lässt sich auch prima mit einem Verfolgungsschritt kombinieren. Dein Trainingspartner muss einfach immer wieder einen Schritt nach hinten machen und du folgst ihm und hörst dabei nicht auf, Kettenfauststöße zu machen.
Was ich genau mit Verfolgungsschritt und Kettenfauststößen meine, kannst du dir hier ansehen.
(2)
Die Übung ließe sich noch erweitern. Wenn dein Trainingspartner nicht nur nach hinten, sondern auch zur Seite ausweicht, kannst du das Ganze auch noch mit Auslagenwechsel trainieren.
Ein Video dazu gibt es hier.
(3)
Es müssen nicht immer gerade Fauststöße sein. Genauso gut lassen sich auch ein Seitwärts- und ein Aufwärtshaken trainieren.
Das kannst du auch prima miteinander kombinieren – und noch weitere Schläge hinzufügen wie zum Beispiel eine Rückfaust oder eine Hammerfaust. Deiner Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.
(4)
Die Schlagkombinationen unter (3) könntest du jetzt auch noch mit Schritten kombinieren.
(5)
Oder du kombinierst Schläge mit Ausweichbewegungen.
Zum Beispiel könnte dich dein Trainingspartner mit einer Geraden angreifen – du duckst dich weg bzw. weichst seitlich aus und greifst dann deinerseits mit einer Geraden an.
Reaktionstraining:
(6)
Neben den Anregungen in den beiden Videos von vorhin gibt es natürlich noch unzählige weitere Möglichkeiten des Reaktionstrainings mittels Pratzen.
Wie wär´s zum Beispiel, wenn du einen Haken mit deiner Rechten gegen die Pratze machst, und dein Trainingspartner dich zeitgleich mit einem Schwinger mit seiner linken Hand angreift:
(7)
Die Übung ließe sich natürlich noch erweitern. Zum Beispiel dadurch, dass dein Trainingspartner nicht jedes Mal angreift, sondern vielleicht manchmal einfach einen Schritt zurück macht und die Pratze vor den Körper hält. Du reagierst dann mit Verfolgungsschritt und Kettenfauststößen.
… Das waren aber jetzt nur mal ein paar Ideen. Doch in Wahrheit gibt es grenzenlose Möglichkeiten was du alles mit Pratzen trainieren kannst. Sei ruhig auch ein wenig kreativ und stell dir eigene Übungen zusammen 😉
Danik meint
Hey Martin, sehr informativer und hilfreicher Artikel. Vor allem die Trainingstipps und die dazugehörigen selbstgemachten Videos finde ich super! Nutzt du für dein Training gewöhnlicher Boxpratzen? Oder ist das Training auch mit Thaipratzen anwendbar? Ich würde gerne Schlagkraft und Reaktion trainieren. Gruß Daniel
Martin Grünstäudl meint
Hallo Daniel,
wir benutzen für unser Training diese hier https://www.amazon.de/dp/B002H4EKGC/ref=nosim?tag=httpkampfkunc-21 sowie diese weicheren wenn wir damit auch Reaktionen trainieren und angreifen https://www.amazon.de/dp/B017RCB1V0/ref=nosim?tag=httpkampfkunc-21
Thaipratzen kann man für manche Übungen natürlich ebenso gut nehmen. Hauptsächlich sind sie aber für Rundtritte gedacht, weshalb mir normale Boxpratzen meistens lieber sind.
Viele Grüße
Martin