Wenn Wing Chun für irgend etwas bekannt ist, dann für Kettenfauststöße.
Dabei handelt es sich um eine schnelle Abfolge von geraden Fauststößen, die abwechselnd mit beiden Armen durchgeführt werden.
Richtig ausgeführt, überfordert man mit Kettenfauststößen fast jeden Gegner. Denn auch wenn man den ersten Fauststoß abwehrt – der nächste folgt bereits einen Bruchteil einer Sekunde später.
Der Sinn hinter Kettenfauststößen
Vorteil Nr. 1: sehr effektiv
Der größte Vorteil von Kettenfauststößen ist, dass sie nur sehr schwer abzuwehren sind. Zumindest für jene, die eine Abwehr noch nie geübt haben.
Kettenfauststöße kommen so schnell, dass fast alle damit überfordert sind. Es nützt nämlich nichts, nur einzelne Angriffe abzuwehren. Denn der nächste Fauststoß ist bereits auf dem Weg, wenn die andere Faust vorne ist.
Mit Blocks allein hat man daher keine Chance diese Angriffstechnik abzuwehren.
Vorteil Nr. 2: schnell zu erlernen
Kettenfauststöße sind nicht nur eine sehr effektive Technik. Sie sind darüber hinaus auch noch leicht zu erlernen – und zwar auch von Anfängern.
Damit eignen sich Kettenfauststöße auch prima für die Selbstverteidigung (allerdings mit Einschränkungen, siehe die Nachteile weiter unten).
Vorteil Nr. 3: man setzt nicht alles auf eine Karte
Das Schöne an Kettenfauststößen ist außerdem, dass nicht jeder einzelne Fauststoß treffen muss, um eine Wirkung zu erzielen.
Im Grunde kann man sie sogar fast im Blindflug einsetzen und einfach eine Salve an Fauststößen abfeuern. Auch wenn dabei nicht alle treffen, es genügt bereits, wenn einige davon ins Ziel gehen.
Man macht einfach so lange weiter, bis der gewünschte Effekt eingetreten ist – der Aggressor also kampfunfähig zu Boden geht.
Vorteil Nr. 4: auch unter Stress abrufbar
Kettenfauststöße sind aber auch ein wunderbares Backup.
Wenn du also aufgrund des Adrenalineinflusses nicht mehr weiter weißt, dann kannst du immer noch auf diese Technik zurückgreifen – vorausgesetzt du hast es im Training fleißig geübt.
Der große Nachteil von Kettenfauststößen
Wie jede andere Technik haben auch Kettenfauststöße ihre Kehrseiten:
Nachteil Nr. 1: die Zeugenproblematik
Was für einen Eindruck macht das wohl auf Zeugen, wenn sie sehen, wie du grade jemand mit etwa 15 oder 20 Fauststößen niedermähst? Und zwar so lange bis er Blut überströmt und bewusstlos zu Boden geht?
Kettenfauststöße sind zwar eine wunderbare Technik um in der Konfrontation selbst als Sieger dazustehen.
Doch vor Gericht stehst du damit wahrscheinlich nicht mehr als Sieger da.
Denn im Notwehrrecht ist von der Verhältnismäßigkeit der Mittel die Rede. Und da wird es der Richter vielleicht nicht so ganz verstehen, wenn du 15 Mal auf den anderen einschlägst.
Nachteil Nr. 2: auch Kettenfauststöße sind abwehrbar
Jede Technik kann man abwehren – und so auch den Kettenfauststoß.
Allerdings muss man das geübt haben. Mit Blocken allein schafft man das nämlich nicht.
Man muss auch mit etwas Vorwärtsspannung quasi „in den Gegner hineinfließen“.
Tipps zur Ausführung
Damit Kettenfauststöße die gewünschte Wirkung entfalten können, muss man sie natürlich fleißig trainieren.
Dabei solltest du folgende Dinge beachten …
Tipp Nr. 1: mit vertikaler Faust schlagen
Kettenfauststöße werden wie im Wing Chun üblich nicht wie bei einem Jab mit horizontaler Faust ausgeführt.
Stattdessen schlägt man mit vertikaler Faust.
Tipp Nr. 2: immer auf der Zentrallinie schlagen
Kettenfauststöße werden immer auf der Zentrallinie – also auf gerader Linie in der Mitte deines Körpers – ausgeführt.
Tipp Nr. 3: eine Faust vorne, die andere hinten
Es befindet sich immer ein Arm vorne im vollendeten Fauststoß. Die andere Faust wartet hinten mit einer Faustbreite Abstand zum Brustkorb bzw. Solar Plexus.
Beide Fäuste zeigen dabei die ganze Zeit zum Gegner.
Tipp Nr. 4: leicht überkreuz ausführen
Da man sowohl mit der rechten als auch mit der linken Faust am selben Punkt auftrifft, werden Kettenfauststöße leicht überkreuz ausgeführt.
Das heißt, dass sich die Knöchel sowohl der rechten als auch der linken Hand auf der selben vertikalen Linie befinden.
Tipp Nr. 5: die unteren drei Knöchel treffen auf
Da man mit vertikaler Faust schlägt, treffen die unteren drei Knöchel der Faust auf. Dies geschieht ganz automatisch, wenn man das Handgelenk gerade hält.
Zeigt die Faust nach unten, würde der obere Knöchel auftreffen, zeigt sie nach oben, nur der untere. Beides ist falsch und auch noch sehr verletzungsanfällig. Du riskierst nämlich dadurch einen Bruch des Handgelenks.
Kontrollier dich daher vor allem zu Beginn deines Fauststoßtrainings öfter mal im Spiegel. Ist dein Handgelenk wirklich gerade und treffen wirklich deine unteren drei Knöchel auf?
Tipp Nr. 6: die hintere Faust beginnt
Ein häufiger Fehler ist, dass man zuerst die vordere Faust zurückzieht und dann erst mit der hinteren schlägt. Dadurch lädst du aber den Gegner dazu ein, dich anzugreifen.
Kettenfauststöße sind nicht nur eine prima Angriffstechnik. Bei richtiger Ausführung bist du dadurch auch selbst gegen Angriffe geschützt.
Allerdings nur, wenn zuerst die hintere Hand beginnt und man die vordere erst dann zurückzieht, wenn die hintere Hand bereits mehr als den halben Weg zurückgelegt hat.
Tipp Nr. 7: Kettenfauststöße werden übereinander ausgeführt
Anfänger machen sehr oft den Fehler, dass sie nebeneinander schlagen.
Richtig ausgeführte Kettenfauststöße allerdings werden nur auf der Zentrallinie und immer schön übereinander ausgeführt.
Die hintere Faust schlägt oben und die vordere zieht sich darunter zurück. Somit ist die Bewegung immer elliptisch.
Tipp Nr. 8: Es arbeitet nur der Trizeps
Noch so ein typischer Anfängerfehler. Viele spannen nämlich auch ihren Bizeps an, wenn sie Kettenfauststöße ausführen.
Doch denk mal kurz an das physikalische Gesetz, das besagt, dass Kraft gleichzusetzen ist mit Masse mal Beschleunigung.
An der Masse deiner Faust kannst du nur etwas ändern, wenn du irgendwas in die Hand nimmst (wie z.B. einen Kubotan).
Bist du unbewaffnet – was du ja bist, wenn du Kettenfauststöße ausführst – dann kannst du nur an zweiter Stellschraube drehen: also an der Geschwindigkeit / Beschleunigung.
Und überleg mal, was passiert, wenn du den Bizeps anspannst: Dein Fauststoß wird dadurch langsamer. Und somit auch deine Schlagkraft. Der Bizeps arbeitet nämlich als Antagonist (Gegenspieler) zum Trizeps. Und du kannst nun mal nicht gleichzeitig deinen Arm beugen und strecken …
Tipp Nr. 9: die Schultern bleiben hinten
Das machen Anfänger ebenfalls sehr gern: Sie kommen mit der Schulter nach vor.
Und auch wenn es die meisten nicht ausnutzen können: Aber wenn du mit der Schulter nach vor gehst, dann riskierst du dein Gleichgewicht zu verlieren, wenn jemand an deiner Hand zieht.
Da Kettenfauststöße sehr schnell ausgeführt werden, wird dies zwar kaum passieren. Doch hey: Wenn wir schon trainieren, dann aber richtig, oder?
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Tipps für´s Training
Kettenfauststöße kann man auf viele unterschiedliche Arten trainieren.
Nachfolgend gebe ich dir ein paar Tipps dazu …
Trainingstipp Nr. 1: zuerst mit einem Arm beginnen
Gleich mit zwei Armen anzufangen könnte dich etwas überfordern. Mein Tipp daher: Starte zuerst mal mit einem Arm.
Dadurch kannst du dich viel besser darauf konzentrieren, dass die Bewegung auch wirklich korrekt ist.
Nach ein paar hundert Wiederholungen auf jeder Seite solltest du die Bewegung schon recht gut drauf haben. Dann kannst du ja dazu übergehen, beide Arme einzusetzen und zu koordinieren.
Trainingstipp Nr. 2: zuerst langsam ausführen
Wenn du beide Arme einsetzt, dann beginne bitte langsam. Übst du anfangs zu schnell, dann werden die Bewegungen schlampig. Unter Umständen trainierst du dir dann etwas falsches ein.
Mit der Zeit kannst du ja die Geschwindigkeit immer weiter erhöhen (und selbst dann schadet es nicht, hin und wieder auch langsam zu trainieren um die Technik immer weiter zu perfektionieren).
Trainingstipp Nr. 3: mit Zettel an der Wand trainieren
Das ist eine super Methode um den Tipp Nr. 6 (=“die hintere Faust beginnt“) umzusetzen.
Probiere bei dieser Übung, dass der Zettel bei Ausführung deiner Kettenfauststöße nicht herunterfällt.
Das bedeutet, dass deine hintere Faust immer ganz schnell übernehmen muss, wenn die vordere zurückgezogen wird.
Okay, es wird dir nicht gelingen, den Zettel ewig oben zu halten, denn es dauert natürlich einen kleinen Augenblick, den Zettel mit der anderen Faust zu übernehmen.
Aber für einige Wiederholungen sollte es dir zumindest gelingen, den Zettel an der Wand zu behalten. Er sollte nicht gleich beim ersten Mal herunterfallen.
Trainingstipp Nr. 4: mit Verfolgungsschritt trainieren
Sobald du dir sicher bist, dass du die Kettenfauststöße technisch korrekt ausführen kannst, wird es Zeit, sie mit Schritten zu kombinieren.
Beginn am besten mit dem Verfolgungsschritt aus dem Wing Chun. (Die Ausführung des Verfolgungsschrittes kombiniert mit Kettenfauststößen erkläre ich hier in einem Video: https://kampfkunstblog.com/wing-chun-verfolgungsschritt/.)
Zu Beginn genügt es mal, einfach deine Kettenfauststöße zu machen und dabei immer wieder einen Schritt auszuführen – auch wenn das noch nicht perfekt koordiniert ist.
Trainingstipp Nr. 5: Schläge mit Verfolgungsschritt koordinieren
Sobald du den Trainingstipp Nr. 4 umsetzen kannst, wird es Zeit für die nächste Herausforderung: Beginn damit, Fauststöße und Schritte miteinander zu koordinieren.
Beginne zuerst mal damit, bei jedem Verfolgungsschritt zwei Kettenfauststöße zu machen. Führe den ersten Fauststoß aus, wenn du dein vorderes Bein hebst und vorne absetzt. Mit dem Nachziehen des hinteren Fußes folgt der zweite Fauststoß.
Eine weitere Steigerung ist es, drei Kettenfauststöße mit jedem Schritt zu machen. Der erste wird mit dem Heben und Absetzen des vorderen Beines koordiniert, dann folgt ein Zwischenschlag und mit dem Nachziehen des hinteren Fußen der dritte Fauststoß.
Das ist zu Beginn sehr herausfordernd. Gib also nicht gleich auf, wenn es nicht sofort funktioniert. Da tut sich fast jeder schwer damit.
Trainingstipp Nr. 6: mit Auslagenwechsel trainieren
Auch das erkläre ich schon bald genauer in einem Video (und zwar in Verbindung mit Handpratzentraining).
Stell dir vor, dein Gegner steht links vor dir. Du machst einen Verfolgungsschritt zu ihm – der linke Fuß vorne. Dabei machst du wieder deine Kettenfauststöße.
Dann stellst du dir vor, rechts von dir ist ein Gegner. Dann machst du einen Verfolgungsschritt mit dem rechten Fuß vorne. Ebenfalls wieder mit Kettenfauststößen.
Achte dabei immer darauf, dass die hintere Faust zu schlagen beginnt – und zwar noch bevor du deinen Körper dorthin bewegst. Sonst kann es passieren, dass du ungeschützt in einen Gegenangriff hineinläufst.
Trainingstipp Nr. 7: mit Handpratzen und Schlagpolster trainieren
Es ist zwar schön und gut Kettenfauststöße in die Luft zu machen (und man sollte das unbedingt auch einige Zeit so machen). Aber irgendwann wird es Zeit, auch mal mit etwas Widerstand zu trainieren.
Mit Handpratzen und Schlagpolster trainierst du mehrere Fähigkeiten gleichzeitig: Und zwar vor allem Schlagkraft, Distanzgefühl und Präzision.
Natürlich kannst du Kettenfauststöße aber auch alleine gegen Wandsack bzw. Boxsack trainieren.
Trainingstipp Nr. 8: Kettenfauststöße als Abschlusstechnik trainieren
Kettenfauststöße eignen sich prima als Abschlusstechnik. Egal welche Kampfanwendung du machst: du kannst sie immer noch mit Kettenfauststößen abschließen.
Mach das ruhig öfter im Training. Du lernst dadurch aus jeder Lage heraus damit anzugreifen.
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Kampfkunstlexikon. Hier klicken für weitere Beiträge.
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P.S.
Ich habe auch ein Video veröffentlicht, indem ich Schritt für Schritt vorzeige, wie du die Wing Chun Kettenfauststöße trainieren kannst:
Kettenfauststöße – eine Schritt-für-Schritt Trainingsanleitung
Hannah meint
Ein toller Beitrag. Immer wieder schön etwas zu dieser interessanten Kampfsportart zu lesen. Werde Ihren Artikel auf jeden Fall weiter empfehlen.
Mit besten Grüßen,
Hannah
Martin Grünstäudl meint
Das freut mich 🙂
Bernd meint
Ich danke Ihnen für den interessanten Artikel. Wing Chun ist eine sehr spannende Sache. Da gibt es viele hilfreiche Techniken.
Mit besten Grüßen,
Bernd
Helmut meint
Auch im Video sehr gut erklärt. Ich habe es etliche Jahre „falsch“ gemacht, denn mir wurde in der EWTO von GM Kernspecht beigebracht dass die vordere Faust zurückgezogen wird indem sich der Ellenbogen sengt. Ok, das kann man so machen aber ich hatte immer Probleme mit der Ausführung. Deine Erklärung mit der Ellipsenbewegung Funktioniert für mich viel besser. Der Arm bleibt länger in einer Streckung und wird nicht ruckartig wieder zurückgezogen. Probiere das mal aus und sag mir deine Meinung.
Holzarm meint
In der EWTO wurde nie dergleichen gelehrt, erst Recht nicht von GM Kernspecht!
Referenz:
EWTO-Mitglied seit 2012
inzw. Übungsleiter, hunderte Stunden Lehrgang und Kontakt zu den GMs
Gruß aus NRW
Holzarm meint
Ein wirklich grandioser Artikel, der der Materie mehr als gerecht wird. Eine Seltenheiten und daher um so mehr hervorstehend. Meine Anerkennung und Wertschätzung dafür